Jeder vierte Privatanleger, den ich beraten habe, kam mit derselben Erwartung in mein Büro: Emerging Market ETFs seien der Königsweg zu zweistelligen Renditen, der sichere Hafen für Diversifikation, die Eintrittskarte in die Märkte von morgen. Alle drei Prämissen sind falsch. Oder zumindest nicht vollständig richtig. Das ist das eigentliche Thema hier – nicht eine Rangliste der „besten“ Fonds, sondern die Demystifizierung eines Anlagebaustoffs, über den zu viel Mythos und zu wenig klares Denken kursiert.
Schwellenländer-ETFs sind, metaphorisch gesprochen, wie ein Flugticket in ein Land, das du zwar auf der Karte sehen kannst, aber nicht wirklich kennst. Du hoffst auf Abenteuer, aber die Landung kann turbulent sein – und die Infrastruktur am Zielort ist nicht immer das, was du erwartet hast.
Die Wahrheit über Diversifikation
Das erste Missverständnis: Ein Emerging Market ETF bietet nicht automatisch echte Diversifikation. Die Konzentration ist häufig dramatisch höher, als Anleger denken. Der MSCI Emerging Markets Index wird von wenigen Ländern dominiert – China allein macht 28 bis 33 Prozent des Indexes aus, gefolgt von Taiwan (knapp 19 Prozent) und Indien (16 Prozent). Das bedeutet: Du investierst faktisch in drei Länder und glaubst, in 24 zu investieren.
Hinzu kommt eine Sektor-Übergewichtung, die typisch für Schwellenländer ist. Finanzdienstleistungen (24 Prozent), Informationstechnologie (24 Prozent) und Consumer Discretionary (13 Prozent) dominieren. Wenn du bereits über ETF versus Aktien eine hohe Tech-Gewichtung in deinem Portfolio hast, addierst du keine Diversifikation – du konzentrierst dich.
Das ist nicht zwangsläufig schlecht. Aber es ist nicht das, wofür du bezahlst.
Die versteckte Volatilität
Emerging Market ETFs werden oft als „langfristiges Investment“ empfohlen. Und ja, über 20 Jahre betrachtet, kann das stimmen. Aber die Volatilität auf dem Weg ist brutal. 2022 verlor der MSCI Emerging Markets über 20 Prozent. 2024 gewann er über 20 Prozent. Die Fahrt ist nicht sanft.
Ein großer Teil dieser Volatilität resultiert aus Währungsrisiken. Viele Schwellenländer-ETFs sind in Euro notiert, aber nicht Euro-abgesichert. Das bedeutet: Die Rendite hängt nicht nur von der Wertentwicklung der Aktien ab, sondern auch davon, wie der brasilianische Real, der mexikanische Peso oder der indische Rupee zum Euro stehen. Das ist ein zweites Risiko, das viele Anleger unterschätzen oder überhaupt nicht sehen.
Warum die TER nicht das ganze Bild zeigt
Die Total Expense Ratio (TER) von Emerging Market ETFs bewegt sich zwischen 0,14 und 0,66 Prozent pro Jahr – was auf dem Papier günstig aussieht. Xtrackers und iShares bieten Fonds mit 0,18 Prozent Gebühren an, Amundi sogar mit 0,14 Prozent.
Aber TER erzählt nur einen Teil der Geschichte. Die Rückseite ist der Bid-Ask-Spread – die Spanne zwischen Kauf- und Verkaufskurs beim Handel. Bei breit gehandelten Fonds wie dem iShares MSCI EM UCITS ETF ist das Spread minimal. Bei kleineren oder spezialisierteren Fonds (etwa ETFs, die nur Schwellenländer ohne China abbilden) kann das Spread 0,2 bis 0,5 Prozent betragen. Das sind versteckte Kosten, die in der Statistik nicht auftauchen.
Dazu kommen Tracking Errors – kleine Abweichungen zwischen dem Index und dem Fonds, die sich über Zeit summieren. Bei optimierten Sampling-Verfahren (wie Xtrackers MSCI Emerging Markets Swap) können diese Effekte größer sein als bei vollständiger Replikation.
Die Länder-Falle: Alles ist nicht gleich
Ein weiterer kritischer Punkt: Nicht alle Schwellenländer sind gleich. Ein Anleger, der in den MSCI Emerging Markets Index investiert, hat keine Kontrolle über die Landeszusammensetzung. 2023 war es China (Deflation, Immobilienkrise), 2024 plötzlich wieder Gewinner. Der Index gewichtet automatisch neu – nicht immer zu deinen Gunsten.
Wenn du hingegen konkrete Überzeugungen hast – etwa dass Indien in den nächsten zehn Jahren der bessere Wager ist als China – musst du in spezialisierte ETFs gehen. Eine durchdachte Portfolio-Diversifikation erfordert dann eine bewusstere Struktur als „einen ETF kaufen und vergessen“.
Das Tempo-Problem
Emerging Market ETFs werden gerne als Langfrist-Investition verkauft. Das ist korrekt – aber es verdeckt ein anderes Problem. In den letzten fünf Jahren haben viele Schwellenländer-ETFs ihre entwickelten Pendants (etwa den MSCI World) unterperformt. Die größten Gewinne der letzten Jahre kamen aus Megacap-Tech-Wetten in den USA, nicht aus Bangalore oder Shanghai.
Das soll nicht heißen, dass Schwellenländer-ETFs schlecht sind. Es heißt nur: Wenn dein Anlagehorizont kurz ist (unter drei Jahren) oder deine Risikotoleranz begrenzt, sind sie die falsche Wahl. Der psychologische Preis – die Fähigkeit, Schwankungen auszuhalten – ist oft unterschätzt.
Was die Daten wirklich sagen
Die größten und liquidesten Emerging Market ETFs auf europäischem Markt sind:
- Xtrackers MSCI Emerging Markets UCITS ETF 1C (Fondsvolumen 8,2 Milliarden Euro, TER 0,18 Prozent). Größte Liquidität, gutes Tracking.
- iShares MSCI EM UCITS ETF – sowohl die ausschüttende (Dist) als auch die thesaurierende (Acc) Variante. Knapp 11 Milliarden Euro kombiniertes Volumen. Die Klassiker im Index-Segment.
- Amundi Core MSCI Emerging Markets Swap UCITS ETF Dist (3,4 Milliarden Euro, TER 0,14 Prozent). Die kostengünstigste Option, nutzt aber Swap-Strukturen – ein verstecktes Risiko, das viele Anfänger nicht verstehen.
Keiner dieser Fonds ist „der beste“. Sie sind alle Mittel zu einem Zweck. Die Auswahl hängt davon ab, was du konkret vorhast.
Die richtige Frage stellen
Statt „Welcher Emerging Market ETF?“ sollte die Frage lauten: Warum investiere ich überhaupt in Schwellenländer?
- Glaubst du an ein spezifisches Land? Dann nimm einen Country-ETF (etwa Indien oder Brasilien), nicht den breiten MSCI.
- Möchtest du blinde Diversifikation nach Index-Gewichtung? Dann ist ein breit streuender MSCI-ETF okay – aber rechne mit höherer Volatilität als Industrieländer.
- Willst du ethische oder Nachhaltigkeits-Auswahlkriterien? Dann brauchst du ein spezialisiertes Nachhaltigkeits-Portfolio, nicht eine Standard-Index-Lösung.
Jede dieser Fragen führt zu einer anderen Antwort. Es gibt kein universelles „best emerging market ETF“.
Die unbequeme Realität
Hier die unbequeme Wahrheit für Anfänger: Wenn du nicht verstehst, warum eine Schwellenländer-Position in dein Portfolio gehört, sondern nur weißt, dass sie sein sollte, dann brauchst du sie nicht. Du brauchst ein klares, durchdachtes Konzept. Und das beginnt mit der Erkenntnis, dass „Schwellenländer“ kein Anlage-Grund ist. Nur ein Etikett auf einer Karte, die du noch nicht gelesen hast.

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